Abschied auf Zeit – und was er mit uns macht
Zwei Monate ist unsere 16jährige Tochter nun bereits fort. Voller Mut, nach einer klaren Entscheidung besucht sie für insgesamt fünf Monate eine Highschool in Neuseeland. Ein Abenteuer! Drei Monate liegen noch vor ihr. Dazwischen? Ein Tal, das wir alle durchquert haben – auf unterschiedliche Weise.
Für sie war es trotz bereits vieler schöner Erlebnisse immer wieder auch das Tal der Tränen. Denn so sehr sie sich auf diese Erfahrung gefreut hat, die Realität hat ihr schnell gezeigt, was es bedeutet, wirklich weit weg zu sein. Kein vertrauter Alltag mehr, kein gemeinsames Lachen am Abendbrottisch, keine Freunde, die „einfach so“ vorbeischauen, keine Spontaneität, keine Bewegungsfreiheit wie daheim. Alles muss organisiert werden. Alles ist fremd. Ihre Gastfamilie ist herzlich, doch auch das ersetzt nicht das, was sie vermisst.
Werte hinter der Trauer
Was sie trägt, ist unsere Verbindung. Wir schreiben und sprechen nahezu täglich. WhatsApp und Facetime-Calls sind zum Rettungsanker geworden und zur Bühne für eine neue Tiefe unserer Beziehung. Wir hätten eher vermutet, dass es genau das ist, was das Heimweh verstärkt. Doch es tut ihr gut. Gefühle sind nun mal höchst individuell.
Was in diesen Phasen des Heimwehs geschieht ist bemerkenswert: Unsere Tochter kommt in den intensiven Kontakt mit sich selbst. Sie spürt klarer denn je, was ihr wirklich wichtig ist. Ihre Werte – die zuvor still mitschwingen durften – treten jetzt scharf ins Bild. Wie durch ein neues Objektiv erkennt sie, was ihr Alltag daheim für sie bedeutet: Umarmungen, Wärme, Humor, Selbstbestimmtheit, Austausch und Nähe.
Diese Klarheit entsteht nicht trotz der Tränen – sondern beschleunigt durch sie.
Auch der Ärger hat seinen Platz: Er ist die Emotion der Selbstbehauptung und der Verteidigung unserer Werte. Wenn wir uns ärgern, zeigt das sehr deutlich, was uns wirklich wichtig ist.
Die Trauer hingegen macht auf schmerzhafte Weise spürbar, wie bedeutend uns etwas war.
Die Traurigkeit meldet sich, wenn der Verlust bereits eingetreten ist, auch wenn dieser wie bei unserer Tochter „nur“ temporär ist.
Trauer macht uns empfindlich für Stress
Das Tal der Tränen ist zudem eine Phase, in der wir besonders sensibel sind. Schon kleine Auslöser wie eine Erkältung, ein geplatzter Ausflug oder ein unbedachter Satz können das fragile Gleichgewicht stören.
Auch im Kontakt mit trauernden oder enttäuschten Kund*innen genügen oft kleine Irritationen, um die Beziehung ins Wanken zu bringen. Im Umgang mit der Trauer ist viel Achtsamkeit notwendig.
Echte Empathie
Und genau hier zeigt sich, was echte Empathie bedeutet: Nicht relativieren. Nicht beschwichtigen. Keine Vorträge halten. Sondern da sein. Aushalten. Raum geben. Und vor allem: zuhören. Vielleicht hier und da behutsam auf andere Gedanken bringen, auf das Schöne. Behutsam – das ist hierfür das passende Wort. Wenn der Perspektivwechsel gelingt, dann oft erst am Ende eines langen Gesprächs. Und manchmal gibt es dafür auch keinen Platz, nicht einmal zum Ende des Gesprächs. Das Aushalten, die echte Empathie, ist wichtiger.
„Du hast doch schon so viel geschafft, das kriegst Du auch hin.“ – „Wird schon besser werden.“ – „Du bist doch stark.“ All diese Sätze sind oft gut gemeint in derartigen Situationen, doch sie sind nicht förderlich. Im Gegenteil, sie sind beziehungsschädlich. Weil diese emotionalen Killerphrasen das Gefühl klein machen – und damit auch den Verlust des dahinterliegenden Wertes.
Wie lange die Phase der Trauer andauert, bestimmt alleinig derjenige, der sich gerade im Tal der Tränen befindet. Von außen haben wir darauf keinen Einfluss. Niemals.
Die Phase der Erkundung beginnt leise
Unsere Tochter beginnt inzwischen, ihre eigenen Strategien zu entwickeln. Kleine, feine Schritte, mit denen sie sich selbst aus den inzwischen abnehmenden Tiefs herauszieht. Ermutigt durch unsere Präsenz – nicht durch unsere Vorschläge.
Sie ist auf dem Weg. Langsam, vorsichtig. Bei ihr beginnt gerade die Phase der Erkundung – die auf das Tal der Tränen folgt. Ein leiser, neugieriger Blick auf das, was dieses Land, diese Zeit, diese Herausforderung ihr alles geben kann.
Und wir? Wir wachsen mit. Unsere Beziehung zu ihr wird nochmals fester und klarer. Es hat sich gelohnt „auszuhalten“, sich mit Ratschlägen zurückzuhalten und nur Empathie auszudrücken … auch wenn es nicht immer einfach war. Ich bin zumindest in den letzten zwei Monaten oft an meine Grenzen gekommen. 😉
Empathie im Verkauf? Unverzichtbar.
Was das mit Emotionalem Verkauf zu tun hat? Alles.
Denn auch dort begegnen uns Menschen in herausfordernden Phasen. Kund*innen, die trauern, frustriert oder enttäuscht sind. Die Enttäuschung gehört ebenfalls zur Trauer – und wird oft fälschlicherweise dem Ärger zugeordnet. Zu oft wird im Verkauf übersehen, dass die Enttäuschung vor allem Empathie und Zeit benötigt, dass man ihr eben nicht wie beim Ärger mit Anerkennung und Sprache beikommen kann.
Wer in diesen Momenten wirklich zuhört, statt vorschnell zu handeln oder zu beschwichtigen, schafft wertvolle und stabile Beziehungen. Wer nicht mit emotionalen Killerphrasen über Gefühle bügelt, sondern aushält, was da ist, macht einen Unterschied.
Ob als Eltern oder als Verkäufer*innen: Echtes Verstehen beginnt mit dem Mut zur Pause und es braucht Geduld.
Man kann nicht am Grashalm ziehen, damit er schneller wächst.
Aber man kann dafür sorgen, dass die Erde nährstoffreich ist.
Der Nährstoff ist die echte Empathie. In der Begleitung als Eltern. Im Verkauf. In jeder Beziehung.
Klarheit auf der Ebene der Werte verbindet
Diese Phasen fordern uns, doch sie schaffen zugleich auch Nähe und Klarheit – auf beiden Seiten.
Die Klarheit, die eigenen Werte oder die meines Gegenübers zu erkennen und der Ausdruck dieser Erkenntnis sind es, was für eine tiefere gegenseitige Nähe sorgt, zum Beispiel so:
“Mir ist es wichtig, …”
“Ich vermisse …”
“Du spürst gerade, wie wichtig Dir … ist.”
“Ihnen liegt besonders am Herzen …”
“Für Sie ist entscheidend, dass …”
“Sie vermissen schmerzlich …, das verstehe ich.”
Ich hoffe, ich konnte Dir mit dieser Perspektive helfen, diese fordernden Zeiten oder die damit verbundenen Gespräche zukünftig noch ein wenig besser und geduldiger zu tragen, statt nur zu ertragen. 😉
Herzliche empathische Grüße,
Deine Irena
PS: Wenn Du Dich fragst, wie Du einem Kunden sprachlich in seiner Trauer begegnen kannst, schaue Dir HIER auch gerne folgenden Blogpost von mir zu diesem Thema an.